Stellt euch eine Werbeagentur vor. Ähnlichkeiten mit real existierenden Agenturen sind natürlich rein zufällig. Wirklich! In dieser Werbeagentur gibt es einen wöchentlichen „Kreativ-Call“, um einen Freiraum im oftmals stressigen Alltag zu schaffen. Während der angesetzten 45 Minuten geht es darum, die Kreativität unabhängig von konkreten Projekten zu fördern. Mal wird dazu eine neue Kreativitätstechnik ausprobiert, mal berichtet ein Teilnehmer von interessanten Artikeln, die er oder sie gelesen hat. Manchmal gibt es ein Motto – und manchmal nicht.
Stellt euchweiter vor, es kommt zu einer Diskussion, welche Themen als nächstes aufgegriffen werden könnten. Eine Kollegin hinterfragt, warum denn alles immer geplant werden müsse – man könne doch einfach mal 45 Minuten komplett frei assoziieren und schauen, was dabei herauskommt? Quasi ein weißes Blatt nehmen und sehen, wohin es führt.
Stille.
Kolleg*in Nummer 1 (Anonymisierung aus Datenschutz-Gründen) stöhnt auf: „Oh nein! Ich hasse das weiße Blatt!“ Kolleg*in Nummer 2 haucht ein leises „Oh“. Kolleg*in Nummer 3 fällt einfach stumm in Ohnmacht bei der Aussicht, etwas ohne vorherige Planung anzugehen.
Leiden wir unter Blankophobie?
Wir haben danach im Team sehr über unsere spontanen Reaktionen gelacht und fanden es spannend, wie unterschiedlich die Einstellungen und Herangehensweisen sind. Manche von uns mussten sich fragen: Warum haben wir Angst vor dem weißen Blatt? Hemmt uns das vielleicht manchmal? Haben wir etwa … Blankophobie? Zugegeben, den Begriff haben wir uns ausgedacht. Aber die Frage ist berechtigt: Warum fällt es manchen von uns so schwer, etwas „aus dem Nichts heraus“ zu erschaffen? Und was können wir dagegen tun?
Wohl jeder, der kreativ arbeitet, kennt sie: Die Hemmung, wenn es um den Start eines neuen Projektes geht. Es gibt sie auch im Bereich der Malerei – und entsprechend Tipps dagegen. Da ich in dieser Richtung weder sehr bewandert noch sehr begabt bin, konzentriere ich mich hier auf die Angst im Schreibprozess – eine besondere Art der Schreibblockade. Sie trifft einen nicht mitten im Prozess, sondern dann, wenn man eigentlich voll motiviert starten sollte: Die Lähmung, die Hand und Geist erfasst, wenn es darum geht, Inhalte schriftlich niederzulegen.
Gründe für die Angst vor dem weißen Blatt
Wenn wir uns die Frage stellen, wie sich die Angst besiegen lässt, benötigen wir erst einmal Antworten. Woher kommt sie? Denkbar sind – vermutlich neben vielen anderen – diese Gründe:
- Gleich der erste Entwurf muss perfekt sein. Der Text muss den Pulitzer-Preis gewinnen – darunter geht nichts.
- Die Befürchtung, zu versagen. Was, wenn ich den Text nicht schreiben kann? Er schlecht wird? Ich wichtige Inhalte übersehe?
- Das Thema ist zu umfassend. Die Menge der Inhalte, die im Text untergebracht werden müssen, scheint riesig. Wo soll man da bloß anfangen?
- Unsicherheit: Was erwartet mich? Ich kenne das Thema noch nicht. Ich weiß noch nicht, wie der Text aussehen wird. Welchen roten Faden wird er haben?
- Zu viele Aufgaben auf einmal. Das Thema recherchieren, keine wichtigen Infos übersehen, einen roten Faden finden, gut argumentieren und das Ganze dann auch noch in schöne, angenehme Formulierungen packen. Das kann doch nur schiefgehen – also lasse ich es lieber gleich ganz.
Ein Lösungsweg: Bloggen trotz Startschwierigkeiten
Das Problem und seine möglichen Ursachen kennen wir nun also. Aber wie können wir es lösen? Was tun, wenn man sein Thema schon kennt, eigentlich Lust darauf hat – aber irgendwie nicht voran kommt? Manchmal gibt es den Tipp, sich selbst Zeitdruck zu machen. Das kann funktionieren, muss aber nicht.
Ich möchte hier einen weiteren möglichen Weg beschreiben, mit dem es zumindest mir gelingt, die o.g. Gründe „am Kragen“ zu packen und anzugehen. Sicherlich wird auch dieser nicht für jeden einzelnen perfekt sein. Generell sind auch mir die Startschwierigkeiten in einen neuen Text nicht unbekannt, doch im Laufe der Jahre hat sich beim Schreiben von Blogbeiträgen ein Prozess aus drei Schritten bewährt. Dabei wird der assoziativ-kreative Teil (die Recherche) vom strukturellen (die Aufbereitung) und dem handwerklichen (das Schreiben an sich) getrennt. So kann ich eine Art der Arbeit nach der anderen angehen und mich jeweils auf die spezifischen Herausforderungen konzentrieren.
Phase 1: Recherchieren
Das wichtigste gleich vorweg: Es müssen nicht von Beginn an vollständige Sätze entstehen. In dieser Phase geht es zunächst nur darum, Ideen und erste Inhalte zu sammeln. Die Reihenfolge ist dabei völlig egal – Hauptsache, es steht etwas auf dem ehemals (!) weißen Blatt. Wenn sich bereits jetzt Strukturen und Cluster ergeben, ist auch das gut. Aber generell gilt: alles kann, nichts muss.
Dann geht es weiter mit der eigentlichen Recherche: Welche Fragen entstehen aus den vorhandenen Informationen? In welche Richtung könnte sich der Beitrag bewegen? Im konkreten Fall (= dieser Beitrag) hatte ich zunächst wenige bis gar keine Vorstellungen und habe das naheliegende getan: Gegoogelt. Die Ergebnisse der Suche „Die Angst vor dem weißen Blatt“ habe ich dann gelesen – mal gründlicher, mal nur flüchtig. Schon bald wurde klar, dass es immer um dieselben Fragen geht: Woher kommt die Angst? Was kann man dagegen tun? Nach und nach schlich sich dann der Gedanke in den Kopf, dass ich doch erst vor kurzer Zeit meinen Kollegen zwecks Fortbildung erklärt hatte, wie ich Blogbeiträge schreibe. Das ließe sich doch gut verbinden, oder?
Als Ergebnis standen dann schnell ein paar Eckpunkte fest, manche bereits mit Inhalt gefüllt, manche nur als einzelne Notiz: Die beiden zentralen Fragen, meine Herangehensweise an Blogbeiträge, den Aufhänger des Kreativ-Calls und sogar schon die Idee eines Fazit.
Phase 2: Strukturieren
Wie stark ihr die Informationen strukturiert, hängt von euren Vorlieben ab. Ich persönlich komme am besten damit klar, wenn ich mir ein starres Gerüst erstelle, das ich dann in Phase 3 nur noch „abarbeite“. Schon während der Strukturierung füge ich alles an Informationen ein, was ich zum Schreiben benötige. So kann ich mich voll auf das Finden von Formulierungen konzentrieren und muss nicht mehr über einen roten Faden oder gar konkrete Inhalte nachdenken.
Um die Inhalte zu strukturieren, überfliege ich zunächst meine Notizen, Ideen und Ergebnisse aus Phase 1. Wie könnte ein Beitrag zu dem Thema aussehen? Wie will ich einsteigen? Im konkreten Fall ist es das Beispiel des Kreativ Calls, das mich erst zu diesem Thema geführt hat. Dann will ich aufzeigen, woher die Angst kommt und was man dagegen tun kann. Am Ende des Beitrags kommt ein Fazit. Im besten Fall geht das mit einem gedanklichen Bogen zum Anfang einher, der den Beitrag dann „rund“ macht.
Keine Sorge – umso mehr Beiträge ihr schreibt, umso schärfer wird der eigene Blick für eine mögliche Struktur. Und wenn die Gliederung mal nicht klappt und ihr sie tausend Mal umstellen müsst, bis es ok ist: macht auch nichts, passiert mir auch immer wieder.
In diese grobe Struktur füge ich dann meine Notizen und Ideen aus Phase 1 ein. Manchmal passen sie direkt, manchmal wird eine weitere, feinere Gliederung notwendig. Und manchmal entfallen Inhalte, weil sie eine unnötige Nebenbaustelle aufmachen. Phase 2 mischt sich gerne mit einem Sprung zurück zu Phase 1. Eine Lücke fällt auf, weitere Ideen entstehen, für die eine Recherche notwendig ist, dadurch ergeben sich weitere Gliederungspunkte … am Ende steht dann eine Struktur, mit der ich zufrieden bin und bei der ich den Eindruck habe, das wichtigste behandelt zu haben. Und selbst wenn nicht: Bei Bedarf kann jeder Blogbeitrag auch nach der Veröffentlichung noch einmal überarbeitet werden.
Phase 3: Schreiben
Bis hierhin haben wir keinen einzigen ganzen Satz schreiben müssen. Ist das nicht toll? Es ist nur halb so schlimm, ein leeres Blatt mit wilden, unperfekten Notizen zu füllen wie mit einem scheinbar in Stein gemeißelten Satz.
Auch jetzt gilt: Löst euch von dem Gedanken, dass der erste Entwurf gleich perfekt und zur Veröffentlichung bereit sein muss. Auch der zweite oder dritte muss es nicht sein. All diese Entwürfe dürfen sich so lesen, dass sich die Schüler der Klasse 1c der Daisy-Duck-Grundschule in Grund und Boden schämen würden, wenn sie sie verfasst hätten. Das ist völlig ok – die Entwürfe sieht ja noch niemand. Sie sind aber die perfekte Basis, um sie in weiteren Durchgängen zu verbessern und sprachlich zu verfeinern.
So kann die „große“ Aufgabe, einen möglichst guten Text zu formulieren, in viele kleine Durchgänge aufgeteilt werden. Und wenn der Text nach dem aktuellen Durchgang noch nicht gut ist, macht man halt den nächsten – oder löst sich vom Gedanken, dass alles immer perfekt sein muss. Beim vorliegenden Text hat mich die finale Version auch einige Durchläufe gekostet. Zu Beginn hatte der Text fast 1.800 Wörter – viele davon unnötig, aber das war auch völlig ok. Ja, es kostet ein wenig Disziplin, sich an das Vorgehen „Durchgang für Durchgang“ zu halten und nicht bereits in der ersten Runde ewig an Sätzen zu feilen. Aber es lohnt sich.
Fazit
Wie ich bereits zu Beginn sagte: Die beschriebene Methode wird nicht jedem liegen. Die Kollegin, die mit ihrer Frage im Kreativ-Call den Stein überhaupt erst ins Rollen brachte, wird mit ihr vermutlich nicht glücklich. Aber das muss sie ja auch gar nicht. Vielleicht hilft die beschriebene Herangehensweise ja dem ein oder anderen, den schwierigen Start zu überwinden und erfolgreich Blogbeiträge zu schreiben. Ganz wichtig ist es, Vertrauen in sich zu haben: Das wird schon. Es wird nicht gleich alles am Anfang perfekt sein, aber am Ende steht da ein Ergebnis, das für mich ok ist / die Anforderungen meines Chefs erfüllt / mich stolz macht, etwas Tolles geschaffen zu haben. Bleiben Sie einfach dran.
Und falls es gar nicht klappt: Wir schreiben natürlich auch gerne Blogbeiträge für euch 😉
Für den Kreativ-Call haben wir übrigens Lösungen gefunden, mit denen alle happy sind. Es gibt ihn immer noch und er bietet nach wie vor eine tolle kleine Insel im oft stressigen Agenturalltag.